01.07.2021
Stadtleben

Catcalling? Nein danke!

Redaktion: Jessica Sindermann

Pfiffe, anzügliche Gesten, sexuelle Belästigungen und Beleidigungen in der Öffentlichkeit – Die verbale Reduktion auf Körperlichkeit und Optik, gepaart mit einem sexuellen Kontext. Kurzum: „Catcalls“. Wie der Name verdeutlicht, handelt es sich hierbei um eine verbale, einseitige Belästigung von Frauen durch Männer. Daher die Begriffsverwendung „cat“ und nicht die männlich konnotierte „dog“, „tom cat“ oder „donkey“. Jede Frau kennt sie, doch nur die Wenigsten setzen sich zur Wehr! Und das, obwohl uns allen sehr wohl bewusst ist, dass diese Art von Aufmerksamkeit weit entfernt ist von Wertschätzung und Respekt. Rund 97 Prozent aller Frauen in Deutschland sind laut einer aktuellen Studie der Hochschule Merseburg schon einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden. Tendenz steigend.

Sprüche wie „Na Süße, heute schon was vor?“, „Hey Schnecke, siehst gut aus“ oder „Wow, geiler Arsch!“ sind für uns fast schon Bestandteil des Alltags. Die klassische Rechtfertigung auf Seiten vieler Täter: „War doch als Kompliment gemeint. Ist es jetzt schon nicht mehr erlaubt einer Frau zu sagen, dass sie gut aussieht?“ Wer 2021 noch in dem Glauben ist, dies seien Komplimente und Balsam für die Seele einer Frau, der täuscht sich. Die pre-emanzipatorischen Zeiten, in denen Frauen dazu gezwungen waren, sich derart sexistische Sprüche von Männern gefallen zu lassen, sind lange vorbei.

Dieser Meinung sind auch Mara Bongartz und Ines Grube. Vor einigen Monaten gründeten die jungen Frauen die Gruppe „catcallsofmönchengladbach“ und setzen sich seitdem aktiv gegen sexuelle Belästigung in unserer Stadt ein. Täglich erreichen die beiden 22-jährigen zahlreiche Nachrichten von Mönchengladbacherinnen auf ihrem Instagram Account, die ihre Catcalling-Erfahrungen mit ihnen teilen. Diese kreiden sie dann auf die Straßen, Bürgersteige und Plätze Mönchengladbachs, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass so etwas täglich in aller Öffentlichkeit passiert. Sie schauen hin, nicht weg und sind damit Teil der großen „Chalk Back“-Bewegung, die ihren Ursprung 2014 in New York hatte. Im Interview verraten mir die beiden, wie es zur Gründung von „catcallsofmönchengladbach“ kam, was ihnen auf den Kreidetouren durch unsere Innenstadt bereits widerfahren ist und was jeder von uns aktiv gegen das Catcalling unternehmen kann!

HINDENBURGER: In vielen anderen Städten gibt es die Catcalls-Gruppen bereits seit längerem. Was hat euch dazu bewegt, eine solche Gruppe auch in Mönchengladbach zu gründen? Gab es da ein Schlüsselereignis?

Mara Bongartz: Da gab es tatsächlich ein Schlüsselereignis: Die catcallsofcologne hatten über ihren Instagram-Kanal all die Städte veröffentlicht, die bisher noch über keine Catcalls-Gruppe verfügten und darunter fiel eben auch Mönchengladbach. Nachdem ich Ines davon berichtet hatte, waren wir uns ziemlich schnell einig, dass sich das durch uns ändern sollte und wir dieses Projekt hier in unserer Stadt gemeinsam ins Leben rufen wollen.  

Ines Grube: Auch die eigene Erfahrung gab natürlich einen ausschlaggebenden Impuls dafür, sich dem Ganzen zu widmen. Als junge Frauen sind wir in unserer Vergangenheit selbst bereits etliche Male zu Opfern von Catcalling geworden und das hat uns irgendwann einfach nur noch wütend gemacht. Wir wollten etwas dagegen unternehmen.

HINDENBURGER: Welche Intentionen stecken für euch hinter dem Projekt?

Mara Bongartz: Der Hauptgedanke ist eigentlich, dass Catcalling auch in Deutschland strafbar werden sollte, wie es in vielen anderen Ländern bereits der Fall ist. Dort fallen Bußgeldstrafen von bis zu 700 Euro an. Primär wollen wir aber Betroffenen des Catcallings ihre Stimme zurückgeben, da die meisten in solchen Momenten Hemmungen haben sich zur Wehr zu setzen. Viele Menschen wissen nicht, wie oft sowas tatsächlich passiert und dass es sich bei dieser Art von Sprüchen und Anmachen um sexuelle Belästigung handelt. Das wollen wir ändern und die Gesellschaft in Mönchengladbach für dieses Thema sensibilisieren.

HINDENBURGER: Wie hat Eurer Umfeld auf das Vorhaben reagiert? Und wie fallen die Reaktionen Fremder auf eure Kreidetouren aus?

Ines Grube: Die Reaktionen unseres Umfelds waren zunächst eher gemischt, aber besonders auf Seiten der Frauen, die alle bereits ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, überwiegend positiv. Viele wollten wissen, warum wir das tun. Insbesondere älteren Familienmitgliedern mussten wir erklären, was uns explizit dazu bewegt und worum es sich beim Catcalling überhaupt handelt. „Das passiert ja eigentlich nur, wenn Mädchen sich kurz kleiden“, hieß es anfangs häufig, obwohl gerade das ein weit verbreiteter Irrtum ist! Fremde Menschen sind eigentlich immer sehr interessiert. Sie bleiben stehen und warten darauf, dass wir erklären, was wir gerade tun und aus welchem Grund – selbstverständlich sind wir da auch jederzeit offen für Fragen! Die meisten finden es gut und doch gibt es trotzdem noch viele, die wirklich erstaunt darüber sind, dass Catcalling sich tagtäglich ereignet. Klar, gab es auch schon negative Reaktionen – Männer, die pöbelnd und lachend vorbeigegangen sind und eine Situation, in der jemand Bier über unsere Ankreidungen goss. Besonders am Anfang hatten wir ja noch keine Erfahrung und mussten zunächst lernen, mit jeglicher Art von Reaktion angemessen umzugehen.

Mara Bongartz: Ab und an sind schon Männer dabei, die das Ganze hinterfragen und damit argumentieren, dass es ja nur Komplimente seien. In solchen Fällen konnten wir aber bisher immer gut aufklären, indem wir gesagt haben, dass Wertschätzung auf Augenhöhe stattfinden sollte. „Du bist mir positiv aufgefallen“ oder „Ich finde dich wirklich super sympathisch“ bietet sich hier wesentlich besser an als einer Frau „Geiler Arsch“ hinterherzurufen.

HINDENBURGER: Welche Tipps habt ihr für Catcalling-Opfer in diesen unangenehmen Situationen?

Mara Bongartz: Da gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten – Die Sicherere ist das Schweigen und selbstbewusste Vorbeigehen, um den Täter mit Missachtung zu strafen. Die zweite Option ist, die Täter-Opfer-Rolle umzudrehen, indem die Situation unter Einbezug möglicher Zeugen konkret benannt und der Täter damit konfrontiert wird. („Du hast mich gerade sexuell belästigt.“) Dazu gehört natürlich viel Mut und es kann auch gefährlich sein! Deshalb empfehlen wir Catcalling Opfern immer abzuwägen, welche Möglichkeit sich eher anbietet.  

HINDENBURGER: Gibt es eurer Meinung nach etwas, das jeder Mensch aktiv im Kampf gegen das Catcalling tun kann?

Ines Grube: Ich denke, darüber sprechen ist schonmal ein erster Schritt, denn es passiert im Grunde genommen täglich, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das Thema sollte gegenwärtig sein und ernst genommen werden. Wird man Zeuge von sexueller Belästigung kann es helfen, Präsenz zu zeigen, sich dazuzustellen und zu signalisieren „Hey ich bin auch da“, um die Situation zu entschärfen. Auch Aufklärungsarbeit, besonders für die jüngeren Generationen, halte ich für extrem wichtig. Es geht darum, Geschlechterrollen aufzulösen und dadurch ein Umdenken zu bewirken.

HINDENBURGER: Also ein Wake-Up-Call an alle Täter: einfach mal ein bisschen mehr Respekt und weniger Sexismus an den Tag legen!

„Chapeau“ für so viel Engagement auf Seiten der Mädels und weiterhin viel Erfolg im Kampf gegen sexuelle Belästigung!

Weitere Informationen unter:
Instagram: catcallsofmg_