Claudia Kamper, Bereichsleiterin Berufsberatung der Agentur für Arbeit Mönchengladbach
01.02.2021
Medizin + Co

Berufsausbildung in der Pandemie

Redaktion: Jessica Sindermann

Für viele junge Erwachsene soll demnächst der Start ins Berufsleben oder nächste Ausbildungsjahr beginnen. Doch die aktuelle Situation hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt und beeinflusst auch weiterhin den Alltag in Betrieben, Institutionen und Berufsschulen. Das berufliche Bildungssystem wird auf eine harte Probe gestellt. Auch wenn viele Ausbildungsbetriebe und Schulen versuchen, schrittweise zu einer „Normalität“ zurückzukehren, bleiben auf Seiten der potenziellen Arbeitnehmer viele Fragen offen. Wir haben bei der der Agentur für Arbeit, der Kreishandwerkerschaft und der IHK einmal nachgehakt, damit Sie bestens auf einen Berufseinstieg zu Pandemiezeiten vorbereitet sind!

HINDENBURGER: Wie stellt sich die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt in der Corona Situation dar?

Claudia Kamper (Agentur für Arbeit): Durch die Corona-Pandemie war es im Frühjahr 2020 zu einer Verzögerung am Ausbildungsmarkt gekommen. Die Schließung der Schulen fiel in die heiße Phase der Berufswahl. Deshalb hatten sich die Partner am Ausbildungsmarkt auf eine Verlängerung des Ausbildungsstartes bis zum Jahreswechsel geeinigt. Das Ziel der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Mönchengladbach war dabei immer, jedem Ausbildungssuchenden ein Stellenangebot oder eine Vorbereitungsmaßnahme zu unterbreiten – das ist uns gelungen.

Inzwischen laufen die Vorbereitungen für das Ausbildungsjahr 2021 auf Hochtouren, das im Sommer startet. Hierbei ist es wichtig, dass alle Akteure am lokalen Ausbildungsmarkt – wie im Vorjahr – wieder gemeinsam daran mitwirken, eine Corona-Lücke am Ausbildungsmarkt zu verhindern. Jede heute nicht besetzte Ausbildungsstelle bedeutet in Zukunft eine Fachkraft weniger. Die Pandemie hat den Fachkräfte-Engpass vielleicht verschoben, allerdings nicht aufgehoben. Unser Beitrag dazu ist, dass wir für alle Fragen zur Berufsorientierung und Ausbildungsaufnahme individuell beraten.

Stefan Bresser (Kreishandwerkerschaft): Auch der Ausbildungsmarkt wurde von der Corona-Pandemie betroffen. Im ersten Ausbildungsjahr wurden gegenüber dem Vorjahreszeitraum ca. 13 % weniger Ausbildungsverhältnisse abgeschlossen. Für das im Sommer 2021 beginnende Ausbildungsjahr hoffen wir auf wesentlich mehr Ausbildungsplatzbewerber als im Vorjahr. Aktuell ist problematisch, dass kaum oder nur in digitaler Form Berufsinformationsveranstaltungen möglich sind.

Daniela Perner (IHK): Wir haben das Jahr 2020 mit etwas über 4000 neuen Ausbildungsverträgen abgeschlossen, das ergibt ein Minus von 9,7 % in der Region im Vergleich zu 2019. Damit haben wir als zweitbester IHK-Bezirk NRW-weit abgeschnitten. Der NRW-Durchschnitt liegt bei -13,8%. Allerdings liegt das Minus in MG mit -14,1 % (881 neuen Ausbildungsplätze im Vergleich zu 1026 in 2019) deutlich höher als in den anderen Städten und Kreisen der Region. Hier gab es ein ungünstigeres Bewerber-Stellen-Verhältnis als in den anderen Städten.

HINDENBURGER: Gibt es aktuell noch Unternehmen in Mönchengladbach die Ausbildungsplätze vergeben? Wie ist hier das Verhältnis von Angebot und Nachfrage? Ist zu beobachten, dass Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen weniger Auszubildende suchen?

Claudia Kamper: Derzeit befindet sich die Agentur für Arbeit Mönchengladbach mit den Betrieben bereits in vielen guten Gesprächen, um den jungen Leuten Ausbildungsstellen für das nächste Ausbildungsjahr anbieten zu können. Start ist im August beziehungsweise September 2021.

Schulabgängern aus dem vergangenen Sommer, die aktuell noch eine Ausbildung anstreben, kann die Arbeitsagentur anbieten, eine sogenannte Einstiegsqualifizierung (EQ) beim zukünftigen Arbeitgeber zu fördern. Dabei handelt es sich um ein sozialversicherungspflichtiges Langzeitpraktikum für Jugendliche, das als Brücke in die Berufsausbildung dienen soll. Innerhalb von sechs bis zwölf Monaten wird ihnen betriebliches Grundlagenwissen aus einem anerkannten Ausbildungsberuf im Betrieb vermittelt, und zugleich wird die Berufsschule besucht. Ziel ist es, die jungen Menschen anschließend in ein reguläres Ausbildungsverhältnis zu übernehmen. Die Inhalte des Praktikums orientieren sich an denen des angestrebten Ausbildungsberufs. Die Vergütung wird zwischen dem Betrieb und den EQ-Teilnehmern vereinbart und wird auf Antrag von der Agentur für Arbeit bezuschusst. Der Arbeitgeber stellt am Ende des Praktikums eine Bescheinigung über die vermittelten Kenntnisse aus. Mit einem zusätzlichen Zertifikat der Kammer kann ein Antrag auf Verkürzung der danach folgenden regulären Ausbildung gestellt werden. Arbeitgeberanfragen zu den Möglichkeiten, jungen Menschen in den nächsten Monaten noch eine Einstiegsqualifizierung zu ermöglichen, beantwortet die Agentur für Arbeit Mönchengladbach unter 02161 4041870.

Stefan Bresser: Im derzeitigen ersten Ausbildungslehrjahr hätten wesentlich mehr Ausbildungsplätze besetzt werden können, wenn denn genügend Bewerber vorhanden gewesen wären. Tatsächlich konnten in den letzten Jahren – somit unabhängig von Corona – viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, da die geeigneten Bewerber fehlten. Im Wirtschaftszweig Handwerk hat sich das Angebot von Ausbildungsplätzen nicht reduziert, das Gegenteil ist der Fall, es werden gegenüber den Vorjahren vergleichsweise mehr Auszubildende gesucht.

Daniela Perner: In unserer Lehrstellenbörse findet man in MG und im Umkreis von 20 km zurzeit knapp 660 freie Lehrstellen in allen möglichen Berufsgruppen, die meisten suchen allerdings für den 01.08. oder 01.09.2021. Einige Unternehmen würden auch jetzt noch einstellen, wenn sich ein geeigneter Schulabgänger bewirbt. So hat z.B. bei unserer Check In Berufswelt Anfang Oktober eine Jugendliche ihre Bewerbung in einem Autohaus hier in MG abgegeben und konnte dort am 15.11.2020 noch ihre Ausbildung beginnen. Das zeigt, dass der Ausbildungsmarkt flexibel ist und auch die Berufskollegs mitspielen.

HINDENBURGER: Was bedeutet Corona für den Bewerbungsprozess?

Claudia Kamper: Unabhängig von der Corona-Pandemie greifen immer mehr Unternehmen auf Online-Bewerbungen zurück. Was jetzt immer öfter genutzt wird, ist das Bewerbungsgespräch per Videochat. Hierbei gelten dieselben Regeln wie beim persönlichen Gespräch: angemessene Kleidung, nicht zu starkes Styling, Pünktlichkeit. Darüber hinaus gilt: In die Kamera blicken, damit der Arbeitgeber direkt in die Augen des Jugendlichen schauen kann. Im Vorfeld mit Freunden oder Familie die Technik testen. Eine LAN-Verbindung ist stabiler als WLAN. Hintergrundgeräusche minimieren. Laut, klar und deutlich sprechen. Gerade beim Videochat kommt es auf die Mimik an, deshalb Gesicht und Oberkörper natürlich und freundlich darstellen.

Stefan Bresser: Ausbildungsbetriebe sind dankbar für möglichst viele Bewerbungen. Bewerbungsgespräche werden – unter Beachtung aller Hygiene- und Abstandsregeln – durchgeführt.

Daniela Perner: Viele Unternehmen haben schon im letzten Jahr auf digitale Bewerbungsprozesse umgestellt und treffen ihre Auswahl in Videoterminen. Andere bevorzugen ein persönliches Kennenlernen, z.B. nach einer digitalen Vorauswahl. Da viele im ersten Lockdown ab März 2020 schon Erfahrungen gesammelt haben, ist dies nun kein all zu großes Hemmnis. Ab Mitte Februar bieten wir gemeinsam mit der Arbeitsagentur und der Handwerkerschaft hier in MG ein digitales Azubi-Speed-Dating an, um Unternehmen und Schüler zusammenzubringen und den Bewerbungsprozess zu erleichtern. Unser Plan, die Schüler in den Schulen auf unser Angebot aufmerksam zu machen, ist durch die Schulschließungen nun natürlich leider nicht möglich. Daher nutzen wir andere kreative Wege und Social Media, um die Schüler zu erreichen.

HINDENBURGER: Wie wird der schulische Teil der Ausbildung zu Pandemiezeiten gehandhabt?

Stefan Bresser: Der schulische Teil in der Ausbildung wird in den Berufskollegs angeboten. Je nach Coronalage in Präsenzform oder in digitaler Form. Die Berufskollegs stellen sicher, dass die Lerninhalte vermittelt werden.

Daniela Perner: Im Distanzunterricht mit Lernplattformen und Online-Unterricht. Hier ist aber bei der Ausstattung der Schulen, Lehrer und Schüler und bei der Methodik an vielen Stellen noch Luft nach oben. Daher sollten die Berufsschulen sobald wie möglich wieder öffnen.

HINDENBURGER: Inwiefern beeinflusst die aktuelle Lage die Abschlussprüfungen der betroffenen Ausbildungsjahrgänge? Ist mit beruflichen Nachteilen für die Abschließenden zu rechnen aufgrund von Qualitätsunterschieden?

Stefan Bresser: Auf den Inhalt der Prüfungen hat die aktuelle Lage derzeit keinen Einfluss. Die Prüfungen werden mit weniger Prüflingen durchgeführt, damit die Abstandsregeln eingehalten werden. Die aktuellen Prüflinge haben selbstverständlich keine beruflichen Nachteile durch eine „Corona-Prüfung“.

Daniela Perner: Der Umgang der Schulen mit dem Distanzunterricht ist heute professioneller als beim ersten Lockdown. Daher gehen wir derzeit von den regulären Prüfungsterminen aus, da an diesen ja auch das Ausbildungs- bzw. Vertragsende und die weitere berufliche und private Planung der Auszubildenden hängt. Berufliche Nachteile ergeben sich aus meiner Sicht weniger aus Qualitätsunterschieden als vielmehr aus der Entwicklung des Arbeitsmarktes in diesem Jahr.

HINDENBURGER: Erwarten Sie, dass durch die Auswirkungen auf die Schulen in der Coronapandemie die dieses Jahr eine Ausbildung anstrebenden Jugendlichen benachteiligt werden könnten?

Claudia Kamper: Wir als Arbeitsagentur für Mönchengladbach haben uns auf die Fahne geschrieben, unseren Beitrag zu leisten, dass keine Benachteiligungen entstehen. Wie im vergangenen Jahr möchten wir auch 2021 erreichen, dass für die jungen Leute das C nicht für Corona, sondern für Chancen auf dem Ausbildungsmarkt steht. Es gibt Branchen, die trotz oder gerade wegen der aktuellen Lage zukunftssicher scheinen. Beispiele dafür sind der Öffentliche Dienst, klassische Handwerksberufe sowie das Gesundheits- und Sozialwesen. Steigende Bedarfe sind darüber hinaus in der Logistik und in der IT und Telekommunikation zu verzeichnen. Doch auch heute vermeintlich weniger sichere Berufe können in der Zeit nach der Pandemie tolle Karriere-Chancen bieten. Wichtig ist aber, jetzt rechtzeitig die entsprechenden Weichen zu setzen und mit uns Kontakt aufzunehmen. Damit jeder Jugendliche seine Chance bekommen kann, bieten wir den jungen Frauen und Männern unsere neutrale, kostenfreie Berufsberatung an.

Stefan Bresser: Nachteile für die Jugendlichen in der Ausbildung erkenne ich nicht. Festzuhalten bleibt aber auch, dass die derzeitige Unterrichtssituation problematischer ist, als im „Normalschulbetrieb“.

Daniela Perner: Viele Berufsorientierungsangebote sind 2020 ausgefallen, so auch die Berufsfelderkundungen und viele Praktika, die ja oft der Türöffner für eine Ausbildung sind. Im Moment gibt es in den Schulen natürlich auch dringendere Themen als Berufsorientierung. Trotz allem lassen unsere Unternehmen, unsere Kooperationspartner wie die Arbeitsagentur und wir als IHK nicht nach, Angebote zu schaffen, um den Jugendlichen, die eine Ausbildung anstreben, die Hürden so gering wie möglich zu machen.

HINDENBURGER: Gibt es Förderprogramme des Bundes / Landes, um Unternehmen im Ausbildungsbereich in der Coronakrise zu unterstützen, um den Ausbildungsbetrieb aufrecht zu erhalten?

Claudia Kamper: An ausbildungswillige Unternehmen richtet sich die Hotline „Bei Anruf: Fördergeld!“. Diese bietet die Agentur für Arbeit Mönchengladbach montags bis freitags zwischen 10 und 12 Uhr unter 02161 4041870 an. Beraten wird über passende Fördermöglichkeiten wie die Einstiegsqualifizierung, das Ausbildungsprogramm NRW und das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“, das sich an kleine und mittlere Unternehmen richtet, die von der Corona-Krise betroffen sind.

Stefan Bresser: Es gibt genügend Förderprogramme seitens des Bundes/Landes im Bereich der Berufsausbildung. Über die unterschiedlichsten Programme kann man sich auf der Homepage der Handwerkskammer Düsseldorf eine Übersicht verschaffen.

Daniela Perner: Mit dem Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ werden Ausbildungsbetriebe seit letztem Sommer unterstützt, ihr Ausbildungsplatzangebot aufrecht zu erhalten. Es gibt Prämien für die Fortführung und Erhöhung des Ausbildungsangebotes, zur Vermeidung von Kurzarbeit und für Auftrags- und Verbundausbildung sowie eine Übernahmeprämie für Auszubildende aus coronabedingt insolventen Betrieben. Anträge können an die Agentur für Arbeit gestellt werden. Wir als IHK sind ebenfalls am Prozess beteiligt und haben in den letzten Monaten ca. 380 Anträge bearbeitet.

HINDENBURGER: Trotz der pandemiebedingten Situation stehen in NRW auch weiterhin attraktive Ausbildungsmöglichkeiten für Ausbildungssuchende zur Verfügung und Betriebe sind dankbar für die eingehenden Bewerbungen engagierter Berufseinsteiger. Für weitere Fragen zu Berufsorientierung und Ausbildungsaufnahme stehen die Agentur für Arbeit, die Kreishandwerkerschaft und die IHK gerne zur Verfügung! Frau Kamper, Frau Perner und Herr Bresser, herzlichen Dank für die interessanten Antworten!